Ich bin ein Stehaufmännchen - ADHS und die Begeisterungsfähigkeit
- Tina Kissling
- 29. März
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Apr.
Immer wieder höre ich Sätze wie: „Wow, du erfindest dich immer wieder neu“ oder „Woher nimmst du die Kraft, ständig etwas Neues zu starten?“ Oft werde ich als „Stehaufmännchen“ bezeichnet – jemand, der immer wieder aufsteht, egal wie oft er hinfällt. Aber was bedeutet das eigentlich für mich und was hat es mit ADHS zu tun? In diesem Blog möchte ich darüber sprechen, wie die Verbindung zwischen meiner Begeisterungsfähigkeit und meiner ADHS-Diagnose mein Leben prägt und warum das „Stehaufmännchen“ für mich nicht nur ein Kompliment, sondern auch eine Überlebensstrategie ist.

Begeisterungsfähigkeit und ADHS – eine besondere Verbindung Begeisterungsfähigkeit – was bedeutet das eigentlich im Kontext von ADHS? Für mich beschreibt es die Fähigkeit, sich unglaublich schnell und tief für etwas Neues zu begeistern. Es sind diese Momente, in denen eine neue Idee wie ein Funke in meinem Kopf zündet und mich mit voller Energie anzieht. Oft ist es so, dass ich mich blitzschnell in neue Projekte, Hobbys oder Themen vertiefe, als könnte ich die Welt erobern. Diese Leidenschaft, diese Freude am Entdecken, kann unglaublich ansteckend sein.
Doch was steckt hinter dieser Begeisterung? Menschen mit ADHS reagieren oft intensiver auf externe Reize als andere. Das bedeutet, dass neue Eindrücke, Ideen oder Erlebnisse viel stärker und unmittelbarer auf uns wirken. Sobald etwas unsere Aufmerksamkeit fesselt, können wir uns regelrecht darin verlieren. Es ist, als ob unser Gehirn in der Lage ist, neue Dinge mit einer solchen Intensität zu erleben, dass wir sie sofort als faszinierend und aufregend empfinden.
Diese erhöhte Reizempfindlichkeit führt dazu, dass wir uns schnell für Neues begeistern können. Doch dieser Zustand hat nicht nur Vorteile – es kann auch dazu führen, dass unsere Leidenschaft ebenso schnell wieder verblasst, sobald der Reiz nicht mehr stark genug ist oder das Neue nicht mehr genug Aufmerksamkeit verlangt.
Und das können ganz unterschiedliche Dinge sein: das neue Auto suchen, Ferien buchen, eine neue Website gestalten, einen Anlass planen oder sogar eine neue Beziehung eingehen. Alles, was in diesem Moment mein Interesse weckt, wird zur nächsten Leidenschaft. Das „Stehaufmännchen“-Prinzip kommt hier ins Spiel: Auch wenn ich mich für etwas Neues begeistere und die Begeisterung irgendwann wieder nachlässt, stehe ich immer wieder auf und finde das nächste spannende Projekt, das mich in den Bann zieht.
„Ich hatte schon ganz viele tolle Ideen, die ich jedoch mangels Ressourcen nicht umsetzen konnte.”
Kreativ und Innovativ
Begeisterungsfähigkeit und Kreativität gehen bei Menschen mit ADHS oft Hand in Hand.
Wenn ich mich für etwas begeistere, scheint es, als ob mein Gehirn in Überstunden arbeitet. Plötzlich tauchen in meinem Kopf so viele Ideen und Assoziationen auf, dass es fast schwer fällt, sie alle zu ordnen. Diese Energie kann zwar chaotisch wirken, aber genau dieser kreative Überfluss bringt oft Lösungen hervor, die anders sind, die überraschen. Manchmal führt diese Art des Denkens dazu, dass ich innovative Ansätze für Probleme finde, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren.
Und ich weiss nicht, wie viele tolle Ideen ich schon hatte, die ich einfach nicht umsetzen konnte, weil ich die Ressourcen dazu nicht hatte. Wahrscheinlich sind mir ein paar ganz gute durch die Lappen gegangen... ;-)
Motivation und Engagement
Für Menschen mit ADHS kann es schwierig sein, sich zu motivieren, besonders bei Aufgaben, die nicht unmittelbar fesseln oder spannend sind. Doch wenn wir etwas finden, das uns wirklich begeistert, verwandelt sich die Motivation von einer Herausforderung in eine Superkraft. Unsere Begeisterung treibt uns an, wir tauchen vollständig in das Thema ein und geben unser Bestes – und das oft über das hinaus, was wir uns selbst zutrauen würden.
Die Fähigkeit, sich für eine Leidenschaft zu engagieren, kann erstaunliche Ergebnisse hervorbringen. Ich habe es immer wieder erlebt, dass, wenn ich ein Thema finde, das mich vollkommen in seinen Bann zieht, ich mich so stark darauf konzentrieren kann, dass alle anderen Ablenkungen verschwinden. In diesen Momenten kann ich wirklich aufblühen, produktiv sein und Dinge erreichen, von denen ich nicht gedacht hätte, dass sie möglich sind.
Hyperfokus und seine Schattenseiten
Hyperfokus – ein Begriff, den viele mit ADHS in Verbindung bringen, aber der oft missverstanden wird. Menschen mit ADHS erleben oft Phasen intensiver Konzentration, in denen sie sich völlig in eine Aufgabe vertiefen. Ablenkungen verschwinden, und wir können außergewöhnliche Leistungen vollbringen.
Doch der Hyperfokus hat auch eine Schattenseite: Oft verlieren wir den Überblick über andere wichtige Aufgaben und das Tagesgeschehen. Wir können Stunden damit verbringen, uns in einer Sache zu vertiefen, während andere Dinge – wie Pausen, Termine oder soziale Interaktionen – auf der Strecke bleiben. Während der Hyperfokus enorme Produktivität bringen kann, erfordert es Disziplin, ihn zu nutzen, ohne den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren.
Ich ertappe mich zum Beispiel oft dabei, wie ich einfach vergesse zu Essen. Irgendwann, vielleicht nachmittags um drei Uhr, kommt dann der Hunger und ich realisiere, dass ich noch nichts gegessen habe.
"Manchmal vergisst man die alltäglichen Verpflichtungen vor lauter Leidenschaft für ein Projekt."

Fokus auf langfristige Projekte
Die Begeisterungsfähigkeit für ein Projekt kann zu einer echten Stärke werden, wenn man lernt, sie so zu nutzen, dass man langfristig dran bleibt. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist das Setzen kleiner, erreichbarer Ziele. Wenn ein großes Projekt zu überwältigend erscheint, kann es helfen, es in kleinere Etappen zu unterteilen. So bleibt die Begeisterung aufrecht, weil man regelmäßig Erfolge erleben kann. Auch regelmäßige Reflexion über den Fortschritt hilft, die Motivation zu erhalten. Ich habe festgestellt, dass das regelmäßige Überprüfen und Feiern kleiner Erfolge mich dazu motiviert, weiterzumachen, selbst wenn die anfängliche Begeisterung nachlässt.
Balance zwischen Begeisterung und Realität
Es ist entscheidend, eine Balance zwischen der Begeisterung für neue Projekte und den praktischen Aspekten des Lebens zu finden. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist, sich bewusst Zeit für andere wichtige Aufgaben einzuplanen. Man kann seine Begeisterung gezielt in den Alltag integrieren, indem man feste Zeitfenster für das Projekt schafft, aber auch Zeit für Arbeit, Familie und Selbstfürsorge lässt.
Ich erstelle mir zum Beispiel jeden Tag einen klaren Zeitplan, der mir hilft, meine täglichen Aufgaben zu erledigen, ohne mich von meiner Begeisterungsfähigkeit so sehr ablenken zu lassen, dass ich die Zeit aus den Augen verliere.
"Pausen helfen nicht nur, die Energie zu erhalten, sondern auch den Kopf zu klären und den Fokus zu bewahren."
Selbstmanagement-Techniken Für Menschen mit ADHS kann es herausfordernd sein, die Begeisterung in den richtigen Bahnen zu lenken, ohne sich zu verlieren. Eine effektive Selbstmanagement-Technik ist es, regelmäßige Pausen einzuplanen, um Überlastung zu vermeiden. Pausen helfen nicht nur, die Energie zu erhalten, sondern auch den Kopf zu klären und den Fokus zu bewahren. Ein weiteres hilfreiches Werkzeug ist das Setzen von Prioritäten: Wenn man weiß, welche Aufgaben wirklich wichtig sind, lässt sich die Begeisterung gezielt auf diese fokussieren, statt sich von weniger dringlichen Projekten ablenken zu lassen. Ich habe gelernt, mir klare Ziele zu setzen und diese in kleinere, erreichbare Schritte zu unterteilen – so bleibt die Begeisterung aufrecht, ohne dass der Überblick verloren geht.
Sich nicht überfordern Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich nicht in zu vielen Projekten gleichzeitig zu verlieren, wenn die Begeisterung einsetzt. Der Drang, viele neue Ideen sofort umzusetzen, kann zu einer Überforderung führen, die die ursprüngliche Freude schnell in Stress umwandelt. Ein hilfreicher Tipp ist es, sich bewusst zu überlegen, welche Projekte wirklich zu einem passen und welche realistischerweise in den aktuellen Lebensrahmen passen. Es ist sinnvoll, nur eine begrenzte Anzahl an Projekten gleichzeitig zu verfolgen und sicherzustellen, dass genügend Zeit für Erholung und andere Verpflichtungen bleibt, um die Energie nachhaltig zu erhalten.
Wertvolles Geschenk
Die Begeisterungsfähigkeit, die mit ADHS oft einhergeht, ist ein wertvolles Geschenk. Sie kann zu unglaublicher Kreativität und Motivation führen, die es uns ermöglicht, mit Leidenschaft und Neugier an neue Projekte heranzugehen. Wenn man lernt, diese Begeisterung gezielt zu nutzen, wird sie zu einem echten Vorteil. Sie ist der Funke, der uns antreibt, neue Ideen zu entwickeln und unsere Ziele zu verfolgen – und das auf eine Weise, die uns einzigartig macht.
Selbstakzeptanz
Es ist wichtig, die eigene Begeisterungsfähigkeit als Teil der eigenen Identität zu akzeptieren und wertzuschätzen. Sie macht uns einzigartig und bringt uns dazu, mit einer besonderen Energie an die Welt heranzutreten. Anstatt sich für die Herausforderungen zu verurteilen, die mit ADHS einhergehen, sollte man lernen, diese als Stärke zu sehen. Jeder Mensch hat seine eigenen Eigenschaften, die ihn ausmachen, und die Begeisterungsfähigkeit ist eine, die enorme Potenziale in sich trägt. Indem man sie positiv in den Alltag integriert und lernt, sie mit einem gesunden Maß an Selbstfürsorge zu lenken, kann man das Beste aus dieser Eigenschaft herausholen. Akzeptiere deine Begeisterung, feiere sie und finde Wege, sie in deinem Leben als wertvolle Ressource zu nutzen.
Ich wünsche euch viel Erfolg beim Umsetzen eurer neuen Ideen. Möge es euch gelingen, eure Begeisterungsfähigkeit richtig einzusetzen! 😉
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